Leserkanone.de-Exklusivinterview vom 25.09.2018

In ihrem aktuellen Roman blickt Marion Schreiner mit ihren Lesern auf »Die Gesichterwand«. Im Interview mit Leserkanone.de sprach die Autorin über den Roman, über die Zugkraft der Psyche und über die Buchwelt von damals und heute.
 

– Frau Schreiner, vor Kurzem erschien Ihr neuer Roman »Die Gesichterwand«. Womöglich hat noch nicht jeder Besucher unserer Webseite Notiz von dem Buch genommen, könnten Sie es unseren Lesern daher kurz mit eigenen Worten vorstellen?

Gerne! Es geht darin um einen Studenten namens Rafe Arkins, der durch einen Zeitungsartikel von einem Psychopathen erfährt, der trotz vieler Warnungen frei herumläuft. Er ist noch jung, doch in seiner Kindheit haben sich bereits Auffälligkeiten im Bereich der Psychopathie und des Größenwahn gezeigt. Als Rafe Arkins den Kurs Psychologie an der Uni belegt, sitzt genau dieser Psychopath in seiner Nähe. Sein Name: Christopher Gelton. Da Rafe Journalismus studiert, beschließt er über die Entlarvung des Psychopathen schreiben, sozusagen als seine erste Erfolgsstory. Er fordert ihn heraus und weiß nicht, auf wen er sich einlässt. Bis er in ein lebensgefährliches Psychospiel gerät.


Ein Thriller begründet sich schon in der Übersetzung »Aufregung, Erregung«. Es muss in meinen Augen eine Geschichte sein, die nicht unbedingt etwas mit einem Krimi zu tun hat, sondern mit der Zugkraft der Psyche. Der Leser muss in eine Geschichte hineingezogen werden, die ihn mitreißt, in Gefühlsverwirrungen verstrickt und bis zum Schluss im Bann hält. Das Ende darf auf keinen Fall vorhersehbar sein. Thriller dürfen in meinen Augen keine Klischees enthalten. Dann thrillen sie nicht, sondern langweilen nur. Ich denke, dass meine Geschichten diese Kriterien erfüllen. Das spiegelt sich auch in den Rezensionen wider.

– Bei Ihrem Roman klingt bereits der Titel makaber, und auch bei früheren Büchern hatten Sie heftige Ideen. Wie schafft man es, sich als ansonsten friedlicher Mensch brutale Verbrechen auszudenken und sich in Psychopathen hineinzuversetzen? Ist es nötig, sich dafür vor dem Schreiben in eine spezielle Stimmung zu versetzen? Welcher Aufwand steckt generell in einem Buch wie »Die Gesichterwand«?

Erst einmal vielen Dank für die Bezeichnung »heftige Ideen«. Finde ich gut. Dabei empfinde ich meine Ideen als angemessen, wenn man die Opfer dieser Welt anschaut, ich meine die wirklich echten. Die Kinder, die in katastrophalen Verhältnissen aufwachsen, ihrer Ehre und ihrer Gefühle beraubt werden und dann in der Gesellschaft noch funktionieren sollen. Das schlimmste Verbrechen findet meist hinter verschlossenen Türen statt. Die Opfer: hilflose Kinder. Mein Spezialthema ist die Psychologie. Und wenn ich mich in ein misshandeltes und missbrauchtes Kind hineinversetze und es die Welt aus dessen Sicht wahrnehmen lasse, können sich ebenso katastrophale Reaktionen ergeben, die schlimmstenfalls zu einem zerstörerischen Täterdasein führen. Ich versetze mich für meine Geschichten insofern in Stimmung, indem ich mich vollkommen isoliert zurückziehe (meist in einer einsamen Hütte schreibe) und dort ganz allein mit dem Protagonisten lebe. Ich fühle ihn, lasse ihn atmen, spüren, leiden und handeln. Ich bin die ganze Zeit bei ihm (unerreichbar für andere) und schreibe seine Geschichte Stück für Stück auf. Der Aufwand, der hinter solchen Büchern steckt, ist nicht nur die Recherche über das psychische Erkrankungsbild, das der Protagonist zeigt, sondern auch ein starker emotionaler Aufwand, schmerzliche Szenen zu schreiben, und zwar so, dass der Leser sie spüren kann. Der Schreibaufwand beläuft sich auf 3 Monate Recherche und dann 10 Stunden im Schnitt täglich schreiben, 4 Wochen lang. Ich schreibe alles von Hand. Tippe den Text erst später ein. Das dauert noch mal 4 Wochen. Dann Lektorat und Vermarktung. In dem Buch »Die Gesichterwand« steckt ein Aufwand von mindestens 6 Monaten.


Ich bin überzeugt, dass der solide Weg der bessere auf Dauer ist.
Ich wünsche mir vom deutschsprachigen Buchmarkt, dass sich die Verlage mehr auf Selfpublisher einlassen und angemessene Honorare leisten oder in Vorkasse gehen. Das wäre fair, wenn man an die Arbeit eines Autors denkt, der monatelang an einem Buch arbeitet. Die Buchauslage im Buchhandel ist und bleibt ein großes Thema und ist bis heute den meisten Selfpublishern verwehrt. Es wäre schön, wenn dort vertraglich eine Einigung erreicht werden könnte.
Von meiner Leserschaft wünsche ich mir weiterhin das Interesse an meinen Geschichten und die Diskussionsbereitschaft über schwere Themen, wie ich sie schreibe. Sie sind aktuell, beklemmend und sollen aufrütteln, die Kinder unserer Welt besser zu schützen. Sie sind das höchste Gut, das wir haben.

– Den Lesern welcher anderer Autoren oder welcher anderen Romane würden Sie Ihr Buch ans Herz legen? Haben Sie literarische Vorbilder? Was sind Ihre eigenen Lieblingsromane?

Ich würde dieses Buch auf jeden Fall allen Lesern an Herz legen, die gerne psychologische Thriller lesen. Ebenso thrillige Kriminalliteratur. Ich schreibe nach der Opfer-Täter-Theorie.


– Was macht Rafe Arkins zu einer solch »besonderen« Romanfigur, dass man ihn unbedingt kennenlernen sollte? Was schätzen Sie an ihm persönlich?

Rafe ist jung, hat Ziele für seine Karriere als Journalist. Einziges Manko: Er hat keine Erfahrung, wie weit er bei der Geschichte gehen darf, die ihm als erste Story vor Augen schwebt. Sein Vater warnt ihn, ebenso sein Dozent. Auch andere raten ihm davon ab, sich dem angeblichen Psychopathen Christopher Gelton zu nähern. Rafe ist jedoch in seiner jungendlichen Neugier gefangen und schätzt die Dinge dadurch falsch ein. Das bringt ihn in die fatale Situation, um sein Leben kämpfen zu müssen.
Ich schätze an Rafe, dass er sich grundsätzlich Missständen dieser Welt stellt und sie zu beseitigen versucht. Er ist zielstrebig und lässt sich nicht von anderen aus dem Tritt bringen. Ihm fehlt jedoch die Erfahrung, wie weit er wirklich gehen darf...
 

– Sie haben »Die Gesichterwand« - wie auch viele andere Ihrer Bücher - ohne einen Verlag in Eigenregie veröffentlicht. Was hat Sie dazu bewogen, es auf diesem Wege zu versuchen? Und halten Sie in der heutigen Zeit »klassische« Verlage überhaupt noch für nötig?

Ich stand, genau wie viele meiner Kollegen, eines Tages vor dem Wunsch, das erste Buch herauszubringen. Ich bewarb mich bei unzähligen Verlagen und bekam nicht eine einzige Zusage. Es war frustrierend, denn man sagte mir, dass mein Stil eine Katastrophe sei und meine Titel nicht zumutbar, ganz zu schweigen von den Themen. Dazu muss ich erwähnen, dass ich autistisch bin. Der Satz, der mich am meisten verletzte, kam von einem großen Verlag und lautete: »Wer liest denn so was?« oder »Ihre Themen existieren nicht.« Da ich fest an meinem Wunsch, eine Autorin zu werden, glaubte und arbeitete, gründete ich 1996 einen sogenannten Eigenverlag, den ich aus finanziellen Gründen im Jahr 2000 auflöste. Die Werbung war zu teuer. 2009 kam das eBook auf den Markt. Ich nutzte die Chance und war einer der ersten Autorinnen, die ein eBook herausbrachte. Es hieß »Die Scheune«. Ein grandioser Erfolg!

Plötzlich bekam ich von zigtausend Lesern die Rückmeldung, dass meine Geschichte gut sei. Seitdem habe ich nicht mehr versucht, einen Verlag zu finden. Ich wollte die Rechte an meinen kommenden Büchern nicht mehr hergeben, auch weil die Honorare der Verlage sehr gering sind. Und es ist echt die Ausnahme, von einem Verlag zu einem »großen Autor« gemacht zu werden. Ich sah mich mit einem geringen Honorar dahindümpeln. Doch es war mein Wunsch, eines Tages davon leben zu können. Und es hat sich gelohnt. Ich habe jetzt 16 Bücher auf dem Markt und lebe seit über 3 Jahren von meinen Buchverkäufen.


– Was können wir von der Autorin Marion Schreiner in der nächsten Zukunft erwarten? Sind bereits neue Buchprojekte in Planung? Stehen außerdem Termine für Messen, Lesungen & Co. fest, bei denen man Sie live erleben kann?

Ja, ich habe immer ein Projekt im Kopf. Ohne geht es gar nicht mehr... Ich plane die Geschichte einer Frau, die ihr Leben aufarbeitet, indem sie die Belastungen in ihrer Familie über Generationen zurück verfolgt. Sie buckelt die Probleme ihrer Vorfahren und ich möchte aufzeigen, was das auch einem Menschen machen kann. Weiß nicht, ob das wirklich ein Psychothriller wird. Mal sehen.
Seit ich in Großbritannien lebe (2016), besuche ich keine deutschen Buchmessen mehr. Ich war bis 2015 fünf Mal infolge dort Gast zum Lesen und habe meine Bücher vorgestellt.

Wen das interessiert, ist bei mir richtig. Ich habe nicht wirklich literarische Vorbilder, aber als Jugendliche war ich immer von thrilligen Geschichten fasziniert. Stephen King war ein Autor, von dem ich einige Bücher las, die mich faszinierten. Dann mag ich auch gerne Dramen oder Schicksalsromane. Bin auf keinen Autor spezialisiert.
Sie fragen nach meinen eigenen Lieblingsromanen. Da gibt es so einige. Doch das Buch, das mich bisher am meisten faszinierte, war die »Die Wand« von Marlene Haushofer. Dann bin ich ein großer Fan der USA und Kanada und habe viele Romane von E.A. Johann und James A. Michener gelesen, die ich zum Teil auch zu den Orten meiner Geschichten inspirierten.

– Heutzutage gehen viele Autoren und Verlage großzügig mit dem Begriff des »Thrillers« um und bezeichnen auch einfachste Krimis bereits als Thriller, da die Schublade vermutlich mehr Zugkraft beim Leser hat. Was macht Ihren Thriller zu einem »richtigen« Thriller?

Das ist eine gute Frage! Ja, auch ich habe festgestellt, dass der eigentliche »echte« Thriller langsam in der Masse der Mainstream-Krimis untergeht.


Leider trauen sich viele klassische Verlage nicht an Ausnahmethemen oder Ausnahmeautoren, die nicht im Mainstream mitlaufen. Doch das sind häufig die Trendsetter von morgen. Das Geld verhindert, wie in vielen Dingen, ein Umdenken. Jeder will sein Schäfchen im Trockenen wissen. Mut sucht man vielerorts vergeblich. Dabei sind es die Mutigen, die die Welt wirklich positiv verändern.
In meiner derzeitigen Situation halte ich einen Verlag für unnötig, weil ich meinen eigenen Mut, was Inhalt, Titel und Cover betrifft, einfach mag, authentisch bleiben möchte und mich nicht verbiegen lasse. Ich lebte schon immer nach dem Motto »Trete nicht in die Fußstapfen anderer, sondern hinterlasse deine eigenen Spuren.« Dennoch bin ich offen für einen Verlag, der mir mit fairen Konditionen und einer guten Zusammenarbeit begegnet. Das würde eine Erfolgsstory werden.

– A propos heutige Zeit: Sie haben schon in den neunziger Jahren Bücher geschrieben, dann aber fünfzehn Jahre pausiert. Nun sind Sie schon seit sieben Jahren wieder »mit dabei«. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Buchwelt zwischen Ihrem ersten und zweiten »Autorenleben« gewandelt hat? Was wünschen Sie sich vom deutschsprachigen Buchmarkt und von Ihrer Leserschaft im Speziellen?

Oh ja, der Buchmarkt hat sich drastisch verändert. Es entstand durch das eBook der Kampf zwischen Verlagen und Selfpublishern. Der Kampf um die Vermarktung. Der Verlag, der einen enormen Kostenapparat zu bewältigen hat, und der Selfpublisher, der plötzlich hohe Tantjemen kassierte. Der Preissturz begann. Auch ich gab mein erstes eBook für 99 Cent heraus, um mich von Verlagen abzugrenzen und auf diese Weise Leser zu finden. Und es funktionierte. Doch nichts funktioniert auf Dauer. Immer mehr Autoren überfluten den Markt, wodurch der Konkurrenzkampf immer größer wird. Ich bin letztes Jahr aus der 99 Cent Liga ausgestiegen und spreche auch nur für mich, wenn ich sage, dass ich mich jetzt durch einen stabilen Preis als gestandene Autorin abgrenzen möchte. Das verändert auch mein Lesepublikum derzeit und ich mache nur positive Erfahrungen damit. Allerdings wird die Technik für mich immer unübersichtlicher und so manches Mal wünsche ich mir die gute alte Zeit zurück, in der ich mein Buch drucken und Binden lassen musste. Es öffnen sich immer mehr Werbekanäle im Internet, die ich kaum noch überblicke. Und wenn ich in diese Richtung nicht versiert bin, wird es für mich immer schwerer. Doch ich glaube auch an das bodenständige, ursprüngliche Buchschreiben und arbeite weiterhin geduldig mit alten Methoden daran, meine Leser immer neu zu begeistern und neue Leser zu gewinnen.


Doch jetzt ist der Aufwand einfach zu teuer zum Verhältnis der Einnahmen. Dann habe ich noch das Handycap des Autismus´, was es mir schwer macht, unter so vielen Menschen, Geräuschen und Bewegungen über Stunden zu sein. Ich kam früher nur zur Lesung und verließ die Messe danach direkt wieder. Sie überfordert mich. Aber wenn ich ab und an in Deutschland bin, gebe ich fast immer eine Lesung in einem kleinen Rahmen. Das war letztes Jahr im September im Kulturraum 5 in Hilden. Es war toll. So etwas würde ich wieder planen, wenn ich längere Zeit nach D’land käme. Hier in GB versteht mich leider keiner... hehe...
Das Team von Leserkanone.de dankt Marion Schreiner für die Zeit, die sie sich genommen hat!

Weiterführende Links:
Offizielle Webseite von Marion Schreiner
Marion Schreiner bei Twitter
Marion Schreiner bei Facebook
»Die Gesichterwand« bei Leserkanone.de
»Die Gesichterwand« bei Amazon


Leseprobe von "Die Gesichterwand" bei Leserkanone.de

Das Team von Leserkanone.de bedankt sich bei Marion Schreiner für die Einsendung dieser Leseprobe! Mehr zu Marion Schreiner gibt es auf ihrer Autorenseite, bei Twitter und bei Facebook.
Bei Amazon ist das Buch an dieser Stelle erhältlich. 

Leseprobe
Die Lesungen von Professor Roberts verloren an Attraktivität. Er gab die ersten Signale, dass er Gelton nicht mehr provozieren wollte. Ich hielt mich ruhig, weil ich noch nicht wusste, wie ich weiter vorgehen sollte.
     In der Pause näherte ich mich wieder Amy Butchers. Vielleicht konnte ich sie für meine Pläne gewinnen. Sie wusste etwas über ihn, das ich nur allzu gern erfahren würde. Vielleicht hatte er ihr nachgestellt und sie hatte ihn abblitzen lassen.
     „Hi“, sagte ich, wie immer, und sah in diesem Moment, wie Gelton uns von Weitem beobachtete. Er hatte mich im Blick. Oder beobachtete er Amy heimlich? Er versteckte sich nicht einmal und ließ mich unsicher werden. Unter diesen Umständen fragte ich nur: „Wie geht’s?“
     „Gut“, antwortete sie knapp.
     Ich sah zu Boden, sagte „okay“ und ließ sie stehen.

Mein Handy ging mitten in der Lesung. Ich hatte vergessen, es auf lautlos zu stellen, und bekam eine Abmahnung von der Dozentin. Mein Vater hatte eine SMS geschrieben. „Ich helfe dir“, las ich und lächelte. Nun lag es an mir, einen guten Plan zu entwerfen. Auf dem Weg zur nächsten Lesung kam mir die erste Idee. Ich würde es auch ohne den Professor schaffen.
     Roberts betrat mit gesenktem Kopf den Saal. Chris saß an seinen gewohnten Platz und auch die anderen Studenten waren weitgehend anwesend.
     Der Professor wollte eine Diskussion in Gang setzen, doch es reagierte keiner. Dann sah er mich an und zwinkerte mir zu. Ich war irritiert. Hatte er seine Meinung geändert?
     „Okay“, hörte ich ihn sagen. „Dann beginnen wir heute mit einem neuen Thema, meine Damen und Herren.“ Er sah in den Hörsaal und klatschte in die Hände. Alle sahen auf. „Nachdem wir das Thema Lebensfundament mit einer Prüfung beendet haben, stelle ich Sie heute vor ein neues interessantes Thema. Eins, das direkt an das Lebensfundament anknüpft. Es geht um das Anpassen und Nichtauffallen.“
Ich horchte auf und hätte zu gerne nach hinten gesehen, um Gelton zu beobachten. Wahrscheinlich zeigte er sich wieder desinteressiert und las in seinen Unterlagen herum. Der Professor erklärte: „Es gibt eine Erkrankung, die diese Eigenschaften notwendig macht, um nicht entdeckt zu werden. Eine, die davon geprägt ist, anderen Menschen Schaden oder Leid zuzufügen. Die Psychopathie.“
     Roberts hielt kurz inne, um das Raunen im Saal zu huldigen. „Ja, werden Sie ruhig nervös, denn der Psychopath ist ein Mensch, der alles andere als lustig ist.“ Er sah kurz zu Gelton hoch. „Wer von Ihnen“ und der Professor zeigte reihum auf uns alle, „würde sich als Psychopath outen?“
     Ruhe im Saal. Dann erhob sich Bob und sagte: „Ich, Sir. Ich bin nicht lustig.“
     Alle lachten. Der Professor lächelte. „Setzten Sie sich wieder, Bob. Dann werden Sie der Erste sein, der mir etwas zu dieser Erkrankung sagen kann.“
     Bob errötete und ich sah zu ihm hinauf. Dadurch konnte ich einen Blick auf Gelton erhaschen, der Bob ebenfalls erwartungsvoll ansah. Welche Ironie! Chris und Bob!

     Bob sagte: „Ein Psychopath ist ein Mensch, der keine Gefühle hat, Sir.“
     Der Professor nickte Bob zu. „So ist es bekannt, obwohl, er hat durchaus Gefühle. Doch welche?“
     „Keine sozialen“, rief Rita.
     „Gut, Miss Rates. Das bedeutet?“
     „Kein Mitgefühl, Professor. Kein Mitleid und kein Verlangen, einem anderen etwas Gutes tun zu wollen. Alles, was er macht, ist eigennützig. Uneigennützigkeit ist ihm fremd.“
     Ich hob die Hand.
     „Rafe?“
     Ich erhob mich und sage: „Er erweckt aber bei anderen die gegensätzlichen Eindrücke, damit er sozial wirkt. Oft sogar durch überspitzte soziale Handlungen.“
     „Zum Beispiel?“, fragte Roberts.
     „Er hilft anderen“, ergänzte ich. „Denen, die besonders hilfsbedürftig nach außen wirken. Das lässt sein Handeln noch gewichtiger erscheinen und die eigentlichen Wesenszüge besser verstecken.“
     Der Professor forderte mich auf, wieder Platz zu nehmen, und wandte sich den anderen Studenten zu. „Inwieweit?“, fragte er.
     Niemand antwortete.
     „Kommen Sie“, sagte er, „Sie alle kennen Lügen, Hinterlist, Verschleiern. Wie verschleiert der Psychopath seine Absichten?“
     Gelton erhob sich! „Indem er niemanden vermuten lässt, dass er ein Psychopath ist.“
     Ich sah zu ihm hinauf. Wir hatten ihn und ich fragte: „Meidet er Kontakte?“
     „Ja“, antwortete Chris.
     Der Professor mischte sich ein: „Das ist mir zu wenig. Warum meidet er Kontakte?“
     Amy erhob sich. „Er will ja nicht entdeckt werden. Kontakte bedeuten Gespräche, und die führen früher oder später dazu, immer etwas mehr über den anderen zu erfahren.“ Sie nahm uns damit die Bühne, die wir Chris zur Verfügung stellen wollten.
     „Stimmt“, sagte Roberts.
     Ich erhob mich, um den Auftritt von Chris wieder herzustellen. „Aber irgendeinen Kontakt braucht er, sonst kann er nirgends leben.“
     Volltreffer! Er reagierte und erhob sich wieder. „Der Psychopath meidet Kontakte, aber er kann nicht verhindern, dass sie sich ihm aufdrängen.“ Er sah mich an. Ich antwortete: „Oder wenn er sie braucht, um leben zu können. Und um weiterzukommen. Sein Leben muss sich ja irgendwie finanzieren. Der Psychopath hat Ziele, die er akribisch verfolgt.“